Ausgangslage
Der Strukturwandel im Ruhrgebiet wird heute und auch in Zukunft stark vom „Ausstieg aus der Kohle“ geprägt. Die „Kohlekommission“ hat das bisher in ihrer Arbeit nur vage thematisiert. Die NRW-Landesregierung hat sich bisher dieser Frage kaum angenommen und keine nennenswerte Initiative gezeigt. Hier sehen wir anders als die schwarz-gelbe Landesregierung dringenden Handlungsbedarf. Die „Kohlekommission“ hat die Aufgabe, im Jahre 2018 die Rahmenbedingungen für den Ausstieg aus der Kohleförderung und -verstromung zu beschreiben. Dies betrifft neben den Braunkohlerevieren, in denen noch gefördert wird, in ganz erheblichem Maße das Ruhrgebiet. Hier endet nicht nur mit Ablauf des Jahres 2018 die Steinkohleförderung. Darüber hinaus werden durch einen Kohleausstieg auch mindestens 12 weitere Kohlekraftwerke stillgelegt. Ein wesentlicher Teil der Massengüterlogistik im Ruhrgebiet kommt dadurch zum Erliegen, weil hier drei Viertel der in Deutschland über die Wasserwege anlandenden verstromten Steinkohle eingesetzt werden. Hinzu kommt die Steinkohle, die über die Schiene transportiert wird. Durch den Wegfall der Neubauten sowie Ersatzinvestitionen von Steinkohlekraftwerken fallen in der Zulieferindustrie etliche hundert bis tausende Arbeitsplätze weg (zuletzt Siemens in Mülheim: 600 Arbeitsplätze). Darüber hinaus haben bis auf Vattenfall und EnBW alle deutschen Energiekonzerne ihren Sitz im Ruhrgebiet. Auch hier entfallen schon nach jetziger Ankündigung viele hundert Arbeitsplätze. In Summe entfallen also mindestens genauso viele Arbeitsplätze wie im Rheinischen Revier. Deshalb ist es für eine gelingende Energiewende notwendig, Strukturpolitik in allen übermäßig betroffenen Regionen zu machen, also auch im Ruhrgebiet.
Bisherige Erfolge
Ohne Strukturpolitik wäre der gelingende Strukturwandel von einer Monostruktur aus Kohle und Stahl hin zu einer diversifizierten Wirtschaft im Ruhrgebiet nicht erfolgreich eingeleitet worden. Durch aktive Wirtschaftspolitik ist es gelungen, in den letzten fünfzig Jahren den Niedergang des Bergbaus mit fast 500.000 Beschäftigten nicht nur abzufedern, sondern den drittgrößten Ballungsraum Europas nach London und Paris zu einer konkurrenzfähigen Metropole mit 22 Hochschulen, 280.000 Studierenden und 40.000 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr zu machen. Noch vor 55 Jahren gab es im Ruhrgebiet keine einzige Universität, heute ist das Ruhrgebiet eine der dichtesten Wissenschaftslandschaften Europas. Deshalb ist dies ein europaweit einmaliges Beispiel für erfolgreiche Strukturpolitik. Aus dem aufgebauten Wissen ist mittlerweile eine diversifizierte Wirtschaft aus 160.000 KMU entstanden. Mit 1.7 Mio. Menschen arbeiten im Ruhrgebiet mehr Menschen als je zuvor. Gerade dort, wo der Strukturwandel besonders weit fortgeschritten ist, liegen Wertschöpfung über und Arbeitslosenzahlen unter NRW-Durchschnitt.
Maßnahmen zum weiteren Gelingen der Transformation
Trotz der beschriebenen Erfolge droht der Prozess der Transformation gefährdet zu werden, wenn er nicht weiterhin durch aktive Wirtschafts- und Innovationspolitik begleitet wird. Nicht nur im nördlichen Ruhrgebiet nimmt der Wandel noch nicht alle mit. Die notwendigen Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels betreffen das Ruhrgebiet überdurchschnittlich. Deshalb ist es notwendig, die folgenden Maßnahmen zu ergreifen, um aus den anstehenden Herausforderungen für die Wirtschaft des Ruhrgebiets Chancen zu machen.
1. Stärken stärken – Cluster ausbauen
Das Ruhrgebiet liegt weltweit in der Umweltwirtschaft, der IT-Sicherheit, der Logistik und der Industrie 4.0 an der Spitze. Nur an wenigen anderen Orten auf der Welt gibt es eine ähnliche Spezialisierung. Deshalb ziehen die o.g. Cluster verstärkt Investitionen aus dem In- und Ausland auf sich. Im Ruhrgebiet sind die Fachkräfte verfügbar, die jedes erfolgreiche Geschäftsmodell benötigt. Es gilt, diese Stärken zu stärken. Erst jüngst hat das Weltwirtschaftsforum Deutschland bescheinigt, die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt zu sein, weil hier Wissenschaft, KMU und Konzerne sowie Verwaltung und Politik Hand in Hand arbeiten würden. Diese Kompetenz kann ausgebaut werden, wenn in den Teilregionen, die ikonographisch für eine dieser Kompetenzen stehen, weitere anwendungsnahe Forschungsinstitute, Lehrstühle und Co-Working-Spaces angesiedelt werden, die diese Kompetenzen bündeln. Diese müssen international bekannt gemacht werden und Städte, Regionalverband Ruhr, Landes- und Bundesregierung aktiv um Ansiedlungen werben. Aus Bundesmitteln müssten für jeden Cluster aus dem Haushalten des Bundesforschungs- und – wirtschaftsministeriums die notwendigen Summen zur Verfügung gestellt werden. Für jeden Cluster kann von 50 Mio. € pro Jahr ausgegangen werden, um international konkurrenzfähig zu sein, denn die Grundlagen sind mittlerweile gelegt, es fehlt aber noch die Schwungmasse. Die Wissenschaftsregion Ruhr muss zudem um weitere Forschungseinrichtungen wachsen und mehr Kooperation mit den forschungsstarken Hochschulen im Revier entfachen. Dafür gilt es, die neuen Bund-Länder-Wissenschaftspakte zu nutzen.
2. UrbaneWertschöpfungermöglichen–Wirtschaftsflächenertüchtigen
Weicht man nicht in den Freiraum aus, existieren im Ruhrgebiet im Durchschnitt nur noch Gewerbe- und Industrieflächen für fünf Jahre, die auch marktgängig sind (im Kern sehr viel weniger, in der Peripherie tendenziell mehr). Durch die Aufgabe der Steinkohleverstromung fallen absehbar mehr als ein Dutzend Kraftwerksflächen brach, die in einer solchen Dimension im Ruhrgebiet einzigartig sind. Zudem sind sie bi- und trimodal erschlossen. Auf diesen Flächen soll hochgradig wertschöpfendes Gewerbe und entsprechende Industrie ausgewiesen werden. Dort wo keine Rückbauverpflichtungen der Eigentümer bestehen, werden die Abbruchkosten vom Bund getragen werden müssen. (Hier kann von einem sehr hohen zweistelligen Betrag für ein Kraftwerk ausgegangen werden. Den Kommunen, auch in der Haushaltssicherung, muss ermöglicht werden, die Flächen zu einem angebrachten Preis zu kaufen, weil der Spekulation sonst Tür und Tor geöffnet wird. Zur Nutzung für Gewerbe und Industrie sind die Flächen entsprechend planerisch auszuweisen.
3. Urbane Mobilität – Intelligente Infrastruktur schaffen
Bei aller Digitalisierung lebt eine moderne Metropole von Mobilität und ihr wirtschaftliches Rückgrat ist auf leistungsfähiger Logistik gebaut. Hier hat das Ruhrgebiet erheblichen Nachholbedarf. Insbesondere die Schienenwege und Stadtbahnsysteme sind nicht konkurrenzfähig. Der Modal Split ist wie in keiner anderen Großagglomeration in Deutschland vom PKW und LKW bestimmt. Dies gilt es sofort anzugehen. In einem ersten Schritt müssen unverzüglich alle bisher für den allein für Schienengüterverkehr genutzten Strecken der RAG und anderer Stakeholder der Energiewirtschaft für den Personenverkehr ertüchtigt werden. So kann auf den neuen Gewerbe- und Industrieflächen auf den ehemaligen Kraftwerksstandorten auch von Beginn an eine gute Nahverkehrserschließung gewährleistet werden. Das Ruhrgebiet hat die Chance, zum Pionier einer Verkehrswenderegion zu werden und kann zukunftsweisende Experimentierräume für Elektromobilität schaffen.
4. AgileGovernanceermöglichen–DiePolyzentralitätnutzen
Wirtschaft geschieht heute global. Internationale Relevanz entfaltet ein Standort erst ab einer Größenordnung von 5 Mio. Einwohnern, die das Ruhrgebiet gerade erfüllt. Diesen Vorteil muss es nutzen. Deshalb sollen alle beschriebenen Projekte in einem durch den Geldgeber, die betroffenen Kommunen und ihren Verband sowie die regionale Wirtschaftsförderung als agile Projektgesellschaft priorisiert und gesteuert werden. Alle Projekte werden mit einem regionalwirtschaftlichen Konzept hinterlegt. Ihre Ausführung unterliegt einem strikten Projektmanagement mit fortwährender Überprüfung der Einhaltung aller Meilensteine, Kosten und Fristen. Eine solch schlanke Struktur ermöglicht die notwendige Agilität bei absoluter Kostenkontrolle und hoher demokratischer Legitimation.