Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Bundestag, erklärt zur Debatte über Antisemitismus an Hochschulen:
„In polarisierten Zeiten brauchen wir mehr Differenziertheit und weniger Reflexhaftigkeit. Protest gehört in lebendigen Demokratien dazu, nicht aber organisierte Verrohung und Radikalisierung. Momentan wird aus verschiedenen Richtungen versucht, Hochschulen als Kampfzonen zu instrumentalisieren, dabei wäre es viel wichtiger, sie in ihrer Diskursrolle zu stärken. In der aktuellen Debatte gehen Meinungs-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit durcheinander, aber sie sind alle kein Freifahrtschein für antisemitische oder andere extremistische Parolen. Hochschulen sind kein rechtsfreier Raum, das staatliche Gewaltmonopol gilt auch auf dem Campus. Dass Hochschulen verantwortungsvoll von ihrem Hausrecht Gebrauch machen, um gegen diskriminierende, verfassungsfeindliche oder strafrechtlich relevante Sachverhalte vorzugehen, ist nachvollziehbar und auch notwendig, wenn es um den Schutz jüdischer Studierender und Lehrender geht. Gleichzeitig muss es möglich sein, Kritik am Vorgehen der Regierung Netanjahu zu üben, ohne das Existenzrecht Israels zu leugnen. Es gilt, sich nicht von Skandalisierung und Zerrbildern anstecken zu lassen. Forderungen nach Exmatrikulationen sind übertrieben. Die übergroße Mehrzahl der Studierenden und Lehrenden steht fest auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Gerade an Hochschulen muss es Raum geben, um sachlich, antiextremistisch und mit Empathie zu diskutieren. Das Existenzrecht Israels infrage zu stellen, Boykott- und Intifada-Forderungen sowie andere antisemitische Parolen sind dabei No-Gos. Mein Eindruck ist, dass Hochschulleitungen hierzulande eigenständig und verantwortungsbewusst agieren und ihren Ermessensspielraum situationsbedingt wahrnehmen.“